Elisarion von Kupffer

Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur

 

 

Eigentlich müßte Elisarion von Kupffers Buch im Guinessbuch der Rekorde stehen, aber dafür ist es wahrscheinlich zu anrüchig. Seine «Lieblingminne und Freundesliebe in der Weltliteratur» ist immerhin die weltweit erste Anthologie literarischer Texte zu männlicher Homosexualität.

Wer eine Sammlung pornographischer schwuler Stellen erwartet, wird sich aber schnell getäuscht sehen. Denn nicht Einhand-Literatur für den einsamen Männerfreund sollte da versammelt werden (davon wird es 1900 auch soviel noch nicht gegeben haben), sondern künstlerisch anspruchsvolle, homoerotische Kleinodien aus aller Herren Länder.

«Wir leben leider in einer so unmännlichen Zeit, daß jedes Eintreten für männliche Rechte, um von Vorrechten zu schweigen, als eine unmoderne Blasphemie und Herabsetzung der weiblichen Vorherrschaft empfunden und getadelt wird.» Elisarion von Kupffer stürzt sich gleich mit dem ersten Satz seiner Einführung aufs argumentative Glatteis, mußte er doch damit rechnen, reichlich mißverstanden zu werden. Seine innere Wut, die ihn dazu trieb, innerhalb weniger Monate eine editorische Mammutarbeit zu bewältigen, rührt nämlich keineswegs aus dem emanzipatorischen Kampf der Frau. Wenn er sich für mehr «Männlichkeit» einsetzt, dann meint er damit, mehr Männlichkeit bei den Homosexuellen.

Man schreibt das Jahr 1899. Oscar Wildes Prozeß ist noch präsent. Der Kampf der gleichgeschlechtlich Liebenden hat gerade erst begonnen und findet vor allem innerhalb der eigenen Reihen statt. Und es gibt noch nicht einmal ein Wort, mit dem man sich selbst bezeichnet. Ein Ungar namens Karl Maria Kertbeny «erfindet» den Begriff der Homosexualität, der Hannoveraner Jurist Karl Heinrich Ulrichs präsentiert seine Wortschöpfung «Urning». der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld propagiert seine «Zwischenstufentheorie». Dem 1872 in Estland geborenen Elisarion von Kupffer paßt dies alles nicht. Zuviel wird ihm da unter Wissenschaftlern von zwischengeschlechtlichem gefaselt. «Kurz, wir haben einen ganzen Wust von krankhaften und albernen Geschichten, die unserer Kultur zu nichts fruchten. Und was das Verdriesslichste dabei war, die Spitzen unserer ganzen Menschheitsgeschichte wurden dabei verzerrt, so dass man diese reichen Geister und Helden in ihren urnischen Unterröckchen kaum wiedererkennen kann.»

Der 26jährige Rußland-Deutsche läßt sich 1898 in Berlin-Charlottenburg nieder und durchstöbert die Weltliteratur nach Belegen für die «Lieblingminne und Freundesliebe». Es war eine für diese Zeit einmalige, beeindruckende Leistung mit deutlich emanzipatorischem Impetus. Von Kupffer konnte auf keinerlei Vorarbeiten zurückgreifen. Mehr noch: Vieles mußte er selbst überhaupt erst ins Deutsche übertragen, Verse von Vergil oder Pindar ebenso wie Michelangelo, Friedrich den Großen und Paul Verlaine. Der von ihm zusammengestellte klassische Kanon wurde später für ähnlich geartete Sammlungen immer wieder übernommen.

 

 

«Ich habe mein Geschick in dir gefunden»

 

Von Kupffers Anthologie sollte belegen: Die «Freundesliebe» ist weltumspannend, in allen Epochen und Kontinenten zu Hause und befähigt dazu, große Kunst zu schaffen. Seine Textsammlung beginnt mit König Davids Klage um Jonathan (in der Lutherschen Übersetzung), enthält griechische und römische Klassiker, und versammelt arabische und japanische Trouvaillen. Es fehlen natürlich weder William Shakespeare noch August von Platen, Johann Joachim Winckelmann oder Lord Byron. Von Kupffer war auch so frei, einige, von heute aus betrachtet echt kitschige, Verse seiner Zeitgenossen Freiherr Karl von Levetzow, Oskar Linke und Heinrich Bulthaupt aufzunehmen. Eigene Gedichte fehlen ebensowenig wie jene seines Lebensgefährten Eduard von Mayer («Ich habe mein Geschick in dir gefunden»).

Gemeinsam mit ihm fand der eher rastlose Elisarion von Kupffer während des ersten Weltkrieges in der Schweiz eine Heimat. 1922 erhielten sie die Schweizer Staatsbürgerschaft. Von Kupffer widmete sich inzwischen der Malerei und verwirklichte in Minusio/Locarno einen langgehegten Plan: den Bau einer modernen Tempelanlage. Dort hoffte er Platons Idee aus dem «Symposium», der Hälftenhaftigkeit des Menschen, in Verbindung mit seiner eigenen Vorstellung von Androgynität in einer religionsähnlichen Gemeinschaft Gestalt zu geben. Den Tempel gibt es heute noch, er beherbergt ein kleines Museum. Daraus verschwunden allerdings sind die klassizistischen, recht erotischen Wandmalereien des Erbauers.

Seine Sammlung machte Eindruck. 1900 erschien sie im Berliner Verlag Adolf Brandt, der auch das Homosexuellenblatt «Der Eigene» herausbrachte. 1903 übernahm der Leipziger Verleger Max Spohr das Buch und druckte die zweite Auflage. Die Staatsanwaltschaft wurde nun plötzlich aufmerksam und beschlagnahmte das Werk. Ein angesehener Altphilologe, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf, bescheinigte der Justiz jedoch den kulturhistorisch bedeutsamen Wert der Anthologie samt seines Kunstanspruches. Der Verkauf wurde daraufhin wieder gestattet.

Von Kupffer starb 1942 in Minusio/Locarno, wo auch Stefan George bereits einige Jahre zuvor seine letzten Lebensjahre verbracht hatte. Sein Lebensgefährte Eduard von Mayer lebte bis 1960.

Von Elisarion von Kupffers Buch haben nur wenige Exemplare die beiden Weltkriege überlebt und sind in Bibliotheken so gut wie gar nicht zu erhalten. Das Originalexemplar für den 1996 publizierten Reprint stammte übrigens aus der Staatlichen Bibliothek im bayerischen Passau.

 

Lieblingminne und Freundesliebe In der Weltliteratur. Eine Sammlung mit einer ethisch-politischen Einleitung von Elisarion von Kupffer. Nachdruck der Ausgabe von 1900. Mit einem Vorwort von Marita Keilson-Lauritz. Verlag rosa Winkel, Berlin 1996.

 

(Inskannat och utlagt internet 2005-02-26 av Jan Magnusson)